Coronakrise: Die deutsche (Digital-)Wirtschaft ist nackt

Eigentlich haben wir es ja immer schon gewusst, aber die Coronakrise führt es uns wieder einmal vor Augen, wie sehr die deutsche Wirtschaft der Gegenwart hinterherhinkt.

Die Coronakrise zwingt auch die Wirtschaft zum Umdenken. Allein die Zahl der von heute auf morgen ins Home Office gegangenen Mitarbeiter kommt in einer Wirtschaft, in der noch immer gerade viele Arbeitgeber diesem kritisch gegenüberstehen, einer erzwungenen Revolution gleich. Trotz aller Widerlegungen herrschte bei nicht wenigen Chefs, vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen, gegenüber Home Office ein tiefes Misstrauen. Da mochten noch so viele Studien beweisen, dass der Mitarbeiter im Home Office effizienter arbeitet, als vor Ort im Büro, der Kontrollverlust und das auslösende Misstrauen war stärker. Der Coronavirus hat dies schlagartig geändert, denn ohne Home Office wüssten viele Unternehmen heute nicht weiter.

Und auch in Sachen bargeldlosem Zahlen an den Supermarktkassen erzwingen die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus einen fundamentalen Wechsel im Verhältnis der Deutschen. Bargeld lacht, war noch vor ein paar Wochen das Motto vieler Konsumenten, die heute dem Wunsch von Supermärkten, Bäckereien oder Zeitschriftenhändlern gerne nachkommen, die um bargeldlose, als kontaktlose Zahlung bitten.

In Zeiten des Coronavirus verändert sich unser Verhalten grundlegend, und gerade die Digitalisierung ermöglicht uns das auch. Streamingangebote wie Netflix oder Amazon Prime Video erfreuen sich großer Beliebtheit, die Menschen bleiben notgedrungen zuhause und viele nutzen die Zeit um Serien und Filme zu sehen. So manches zusätzliches Netflix-Abo wird in diesen Tagen abgeschlossen worden sein.

Andere Angebote wie Slack, Skype oder Microsoft Teams ermöglichen es effektiv im Home Office mit den Kollegen in Kontakt zu bleiben, oder helfen deutschlandweit Lehrern zumindest eine minimale Möglichkeit weiter zu unterrichten.

Und wo besorgen sich die Menschen alltägliche Produkte, wenn die Geschäfte geschlossen sind? Richtig, bei Amazon.


Wie viele dieser Schlüsseltechnologien finden sich im deutschen Dax? Keines. Wie viele digitale Unternehmen befinden sich überhaupt im Dax? Na ja, zumindest ein oder zwei. Aber wenn man ehrlich ist, außer SAP ist keines einer Erwähnung wert. Deutsche Profiteure hingegen scheinen bestenfalls die Hersteller von Toilettenpapier zu sein. Aber selbst das stimmt nur auf den ersten Blick. Denn Toilettenpapier ist auch deshalb geradezu perfekt als Hamsterprodukt geeignet, weil man sich den ganzen Keller mit Toilettenpapier auffüllen kann, ohne dabei befürchten zu müssen, es würde ein Verfallsdatum haben. All jene, die jetzt Toilettenpapier hamstern, müssen sich schlicht auf gefühlte Jahre hinaus kein neues mehr kaufen. Ein klassischer vorgezogener Konsum, im besten Falle also eine Nullsummenrechnung für deren Hersteller.

Die traurige Wahrheit ist, dass nicht einmal die zahlreichen Copycats, die lediglich erfolgreiche, meist amerikanische Businessideen kopieren, zu tragenden Säulen in der Krise werden und auch nicht nach der Krise von ihr profitieren werden. Zalando verkauft eben doch nur Kleidung, so erfolgreich man auch sein mag. Um Gegenbeispiele zu finden, muss man länger suchen. Doch außer Lieferplattformen, deren Geschäftsmodell nicht selten auf der Ausnutzung der eigentlichen Lieferanten besteht, wird man nicht viel finden.

Die Coronakrise führt uns vor Augen, dass die deutsche Wirtschaft trotz aller Wirtschaft 4.0-Rhetorik weit zurückliegt. Während amerikanische Unternehmen auch jetzt gefragt sind, meldet des Deutschen Lieblingsindustrie Kurzarbeit an – Autos zusammenzubauen ist an sich schon eine Unmöglichkeit geworden, abgesehen davon, dass am Anfang einer Krise niemand ohne Not eine größere Anschaffung wie die eines Autos tätigen möchte. Made in Germany ist in der Krise nicht gefragt, im besten Falle kann man die Produktion noch auf jetzt wichtig gewordene Dinge umstellen, wie etwa Atemschutzmasken. (Deren Produktion man schon vor Jahren aus Kostengründen meist nach China verlagert hat.)

Wir sollten das als Weckruf nutzen, und nach der Krise endlich gegensteuern. Das trifft zum Beispiel gerade die Autoindustrie, deren großes Problem nicht das Verschlafen der E-Autos darstellt, sondern die sinkende Bedeutung des Autos selbst. Denn VW & Co. bei ihrem Versuch den Rückstand in der E-Mobilität aufzuholen, dass sie den Schuss noch immer nicht gehört haben. Erklärt sich ihr Rückstand dadurch, lediglich an der Perfektion des herkömmlichen Motors gearbeitet zu haben, statt an dessen Nachfolger, scheitern sie unter aller Augen daran, noch nicht verstanden zu haben, dass das Auto künftig nur noch eine Plattform für die eigentlichen Produkte ist. Der Hype um Tesla basiert nicht auf den Autos von Elon Musk an sich, sondern an den Dingen, die er mitliefert. Kurz gesagt, die deutsche Autoindustrie arbeitet fleißig daran das zu werden, was sie derzeit hier und da gängelt, die Zulieferungsindustrie.

Allerdings habe ich wenig Hoffnung, dass hier an sich die Chance zum Umdenken wahrgenommen wird. Die deutschen Reaktionen auf den Boom von Skype oder Zoom ist noch immer nicht der Versuch aufzuschließen, sondern der Hinweis, dass da vieles mit dem Datenschutz nicht stimmt. Mit einem beleidigten „ja, aber“ lässt sich Made in Germany allerdings wohl kaum retten. Da mag die Coronakrise noch so deutlich sein, und beweisen, dass der Kaiser nackt ist, und all die schönen Kleider nur Trug.