Wahrscheinlich sind sie für Japan so typisch, wie Sushi. Und wie Sushi, haben auch die japanischen Manga ihren Weg längst nach Europa und Amerika gefunden.
Auch in den deutschen Comicläden oder Bahnhofsbuchhandlungen, aber auch in vielen klassischen Buchhandlungen sind Manga inzwischen nicht mehr wegzudenken. Die meisten Bücher kommen allerdings noch immer aus dem Mutterland des Manga, auch wenn in Deutschland seit Jahren eine kleine, aber feine Szene einheimischer (vorwiegend) Zeichnerinnen und Zeichner entsteht.
Quasi von Anfang an dabei war Inga Steinmetz, sie bezeichnet sich selbst schon mal augenzwinkernd als „Großmutter“ der Szene. DenkZeit hat Inga Steinmetz zu einem Interview gebeten.

DenkZeit: Inga, in einem Berliner Stadtmagazin wurdest du als die wahrscheinlich dienstälteste Mangazeichnerin in Deutschland bezeichnet. Wie hat das mit dem Zeichnen von Manga angefangen?
Inga Steinmetz: Ich war 14 und zu der Zeit auch schon begeisterte Comicleserin – lustiges Taschenbuch, französische Comicalben meines Vaters aber auch Trickfilme wie Familie Feuerstein gehörten zu meiner täglichen Dosis „Comic“. Gezeichnet hatte ich schon immer viel, aber eher Bildergeschichten, als Einzelillustrationen.
Dann kamen die ersten japanischen Trickfilme ins Fernsehen und das Faszinierende war: Plötzlich standen mal die Mädels im Vordergrund. Sie wollten die beste Sportlerin werden, sie retteten die Welt und sie erlebten die tollen Abenteuer. Ich fühlte mich auf einmal ganz anders angesprochen. Und auch die epischen, zusammenhängenden Geschichten waren so ganz anders aufgebaut, also die Einzelepisoden der amerikanischen Trickfilme, die ja immer den Status Quo bewahrten.
So fing ich an, mich für diesen Stil zu interessieren. Anfangs versuchte ich ihn so gut es ging, zu kopieren aber bald entwickelte ich meine eigene Malweise.
Das Ganze ist 22 Jahre her – und tatsächlich bin ich zurzeit die älteste deutsche Mangazeichnerin, die „Großmutter“, wie ich immer mit einem Augenzwinkern sage.
DenkZeit: Von westlichen Comics unterscheiden sich Manga ja in der Optik, den meisten fallen wahrscheinlich zuerst die die großen Augen auf, aber da gibt es sicher noch andere große Unterschiede?
Inga Steinmetz: Inzwischen sind die Unterschiede gar nicht mehr so groß, denn die Grenzen verschwimmen immer mehr und gerade viele westliche Zeichner picken sich das „Beste“ aus beiden Welten heraus.
Klar, in den großen japanischen Comicmagazinen z.B. für Jungs gibt es noch immer viele Regeln, die eisern eingehalten werden (ein freundlicher Held, sein Rivale und Kämpfe, die sich gerne über viele Bände erstrecken) aber grad bei den kleineren Verlagen ist man immer öfter offen für Neues – vielleicht, weil man auch erkennt, dass Einfluss von außen einen Comicmarkt beleben kann.
Wenn ich mich auf ein typisches Merkmal festlegen müsste, wäre das die „Expressivität“ der japanischen Manga. Sie sind wie ein Wirbelsturm; alles bewegt sich, die Gesichter verzerren sich, die Emotionen kochen über, in alle Richtungen. Bei den besten Manga wird einem buchstäblich der Boden unter den Füßen weggerissen, man ist wie weggefegt. Davon abgesehen, sind sie spannend und mitreißend erzählt, jede Seite umklammert dich und lässt dich nicht los, bis du den ganzen Band gelesen hast. Das fasziniert!
DenkZeit: Würdest du sagen, dass man Manga trotzdem nach dem Land unterscheiden kann, in dem sie entstanden sind? Gibt es typisch deutsche Manga, koreanische oder japanische?
Inga Steinmetz: Vor ein paar Jahren hätte ich noch gesagt, dass man die Unterschiede sehen kann, aber dem ist nicht mehr so. Es gibt Japaner, die bewusst westlicher, gröber, nicht so perfektionistisch zeichnen, und es gibt westliche Zeichner, die sich ganz bewusst einen Stil aneignen, den ältere japanische Mangazeichner vor 30 Jahren benutzten. Das Internet hat dem Stilgemisch Tür und Tor geöffnet und diese Entwicklung ist sehr spannend.
DenkZeit: Deine letzten beiden Publikationen waren „Schneeballens Fall“ und „Schneeballen – Verliebt in Japan“. Schneeballen ist eine deutsche Mangaka, die, wie soll man sagen, knuffig (?), gezeichnet ist und Abenteuer in Korea und Japan erlebt. Was kein Zufall ist, denn die beiden Bücher sind autobiographisch. Worum geht es dabei?
Inga Steinmetz: Bevor ich nach Korea gereist bin, hatte ich eine tiefe Krise in meinem Leben. Meine Zukunft als Zeichner stand auf dem Spiel und das stürzte mich in ein tiefes, schwarzes Loch. Ich war am Ende, wenn man so will. Während dieser Zeit bekam ich das Stipendium einer koreanischen Comicagentur angeboten – und so konnte ich meinen Problemen nach Korea entfliehen.
Vor Ort fasste ich neuen Mut, denn vieles, woran ich mich als Zeichnerin gekrallt hatte, spielte bei guten, mitreißenden Comics gar keine Rolle – aber das musste ich erst lernen. Die japanische Zeichen-Perfektion hatte mich blockiert und auch meine Gesundheit angegriffen. In Korea merkte ich, dass es OK ist, mal einen Gang runterzufahren, wenn nur das Emotionale, Wahrhaftige in einer Geschichte stimmt.
Zurück in Deutschland bot ich meiner Redakteurin bei Carlsen an, die Reiseerlebnisse in einem witzigen Comic zu erzählen. Etwas unsicher schlug ich schließlich auch vor, die „ganze“ Geschichte zu erzählen; nicht nur das Schöne, sondern auch meine Erschöpfung und die Verzweiflung in die Geschichte zu packen. Sie kämpfte wie eine Löwin dafür, denn autobiografische Manga von Deutschen, die süß aber auch gleichzeitig drastisch und düster waren, das hatte es bis dahin noch nie gegeben – und auch noch in Farbe! Aber ich finde es immer reizvoll, Vorreiter bei etwas zu sein und schließlich boxten wir das Konzept durch.
Das Ergebnis war die positivste Leserresonanz, die ich bis jetzt in meiner Karriere erfahren durfte. Noch heute werde ich auf meine Schneeballen-Geschichten angesprochen und wie sehr viele Leser emotional erfasst waren. Dieser Erfolg hat meine Sichtweise auf das Schreiben und Zeichnen sehr verändert.
DenkZeit: Ganz anders war die Reihe „Alpha Girl“ von dir. Der Manga geht in den erotischen Bereich. Da werden bei einigen Lesern sicher Vorurteile wach. Wie siehst du das? Und ist es eigentlich eine Ausnahme als Zeichnerin in diesem Genre unterwegs zu sein?
Inga Steinmetz: Ich liebe es, neue Sachen auszuprobieren; Stillstand ödet mich an und ist auch Gift für meine Kreativität. „Alpha Girl“ war ein Entspannungsprojekt nach einer großen Verlagsveröffentlichung, dass ich eigentlich nur im Internet hochladen wollte. Mein damaliger Redakteur fand das Konzept aber spannend und so wurde daraus eine offizielle Veröffentlichung. Auch hier war es wieder das erste Mal, das ein deutscher Manga mit einem derart großen Sexanteil bei einem großen deutschen Verlag lief.
Ob des Themas gab es nie Anfeindungen oder hochgezogene Augenbrauen; warum auch, der Manga ist ja verhältnismäßig zahm. Überhaupt musste mich mein Redakteur eher bremsen, da wir ja „Ab 16“ einhalten wollten und ich öfters in „Ab 18“ abrutschte, haha.
DenkZeit: Vor ein paar Jahren noch konnte man Manga an vielen Orten finden. Heute habe zumindest ich das Gefühl, man sieht sie nur noch in Comicläden und Bahnhofszeitschriftenläden. Wie steht es deiner Meinung nach um die Beliebtheit von Manga / Mangakultur in Deutschland?
Inga Steinmetz: Manga ist immer noch ein wachsender Markt, das sieht man besonders an den riesigen Manga-Abteilungen in den Buchhandlungen bzw. –ketten in den Großstädten. Diese Entwicklung kann keiner mehr ignorieren – Manga sind etabliert. Die Feinheiten sind mir nicht bekannt aber sicher gab es Gründe, den Bahnhofsbuchhandel anders zu beliefern, als die Buchläden in den Innenstädten. Der Bequemlichkeitsfaktor von Internetshopping spielt sicher auch eine Rolle.
Um Manga in Deutschland braucht man sich keine Sorgen machen, das zeigen auch die neuen Verlage, die immer noch zusätzlich auf den Markt drängen.
DenkZeit: Gibt es eine eigenständige Mangakultur in Deutschland, oder fallen die zahlenmäßig wenigen Veröffentlichungen von deutschen Mangaka in der Masse an Übersetzungen aus Japan gar nicht auf?
Inga Steinmetz: Die deutsche Mangaszene gedeiht, das sieht man immer wieder sehr gut auf den Buchmessen. Grad jetzt waren in Leipzig wieder über 100 Zeichnerstände in Halle 1 zu finden. Auf der Fanmesse Dokomi wird es unglaubliche 500+ Zeichner geben, die vor Ort in einer speziellen Zeichnerallee ihre Bilder, Merchandise und Comics anbieten. Abseits der Verlage brodelt es.
Dazu kommen Cosplayer, die sich als ihre Lieblingsfiguren verkleiden, oftmals in selbstgefertigten Kostümen, Bastler, Live Acts, Sänger … Die deutsche Mangaszene ist unheimlich kreativ und divers. Die wenigen deutschen Mangaveröffentlichungen bei den großen Verlagen sind nur ein winziges Abbild davon, was „Manga made in Germany“ sein kann.
Das hat vielerei Gründe: Nicht jedem liegt es, nach redaktionellen Vorgaben und nach festen Deadlines zu arbeiten. Manche unterschätzen den physischen bzw. den psychischen Stress einer „großen“ Veröffentlichung. Nur die ganz „Verrückten“, wie ich sie selbst liebevoll nenne, die alles andere hinter ihren Traum anstellen, halten es durch, Mangazeichner in Deutschland zu werden, und noch wichtiger, zu bleiben.
DenkZeit: Eine Gewissensfrage. Hast du als Kind „Wickie“ oder „Heidi“ gesehen, und wusstest du, dass japanische Serien, also Anime, waren?
Inga Steinmetz: Ich mochte Wicki sehr, wusste aber natürlich nicht, dass es in Japan gezeichnet wurde. Ein bisschen erkennt man es heute, so wie auch bei Biene Maja oder Alfred J. Quack. Die „Schweißtropen“ und die Expressivität, die ich weiter oben bereits angesprochen habe, verraten es dem geübten Auge.
DenkZeit: Gibt es einen Lieblings-Mangaka, oder jemand, den du als Vorbild nennen würdest?
Inga Steinmetz: Direkte Vorbilder habe ich nach 20 Jahren nicht mehr, dafür bin ich zu gefestigt in meinen eigenen Zielen. Ich kann aber immer noch Bewunderung empfinden, z.B. für Leute, die seit 60 Bänden am selben Manga zeichnen und immer noch Fans von sich begeistern können. Das ist Talent und ein knallharter Wille, den man einfach bewundern muss.
DenkZeit: Wie ist deine Arbeitsmethode beim Zeichnen eines Manga? Geschieht das noch klassisch per Hand, oder entstehen die Bilder schon am Computer?
Inga Steinmetz: Bis vor wenigen Jahren habe ich noch mit Feder und Tusche gezeichnet, eine Arbeitsweise, die mich sehr geprägt hat. Dadurch habe ich gelernt, auf welche Optik ich hinarbeiten möchte. Wenn ich jetzt digital tusche, achte ich darauf, dass es noch immer „handgemacht“ aussieht, nicht zu glatt und steril. Auftragsarbeiten mache ich häufig noch analog, Originale in Form von Aquarellen oder Markerbildern sind weiterhin sehr gefragt.
Ansonsten habe ich das digitale Zeichnen am Zeichentablett sehr schätzen gelernt. Man überspringt den kompletten Arbeitsgang Scannen bzw. Bildnachbearbeitung, eine tolle Zeitersparnis, die man grad beim zeitintensiven Manga zeichnen schnell nicht mehr missen möchte.
DenkZeit: Du gehörst in Deutschland zwar zu den wenigen etablierten Mangaka, aber ich fürchte alleine davon kann man nicht leben, oder?
Inga Steinmetz: Tatsächlich haben 95 Prozent meiner Verdienste direkt oder indirekt mit Manga zu tun. Hier eine kleine Auswahl der letzten Jahre: Manga-Workshops, Manga-Portraits auf Events, Vorträge über meine Manga (besonders die Schneeballen-Reiseberichte und über die deutsche Mangaszene), Einladungen zu Messen, Geschenkbilder im Mangastil in Aquarell oder Marker und eben Manga/Comics pur zeichnen. Gerade dieses Jahr bin ich so voll mit „Manga“, dass ich nicht mal für meinen eigenen Manga Zeit finde, haha. Aber das ist großartig und deshalb auch keine Beschwerde. Als Selbstständige können ja auch immer andere Zeiten auf einen zukommen.
Also ja, ich kann vom Manga zeichnen leben, aber das ist auch Ergebnis meiner harten Arbeit und zufriedener Kunden, die mich über Jahre weiterbuchen bzw. -empfehlen. Ich schätze mich daher sehr glücklich und hoffe, dass es so weitergeht.
DenkZeit: Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag von dir aus? Machst du eher die Nächte in einem Kreativrausch durch, oder bevorzugst du sozusagen geregelte Arbeitszeiten?
Inga Steinmetz: Ich bin eher ein disziplinierter Dienstleister, gehe gegen halb zwölf schlafen und sitze gegen neun dann wieder am Zeichenbrett. Ohne genug Schlaf würde mein Körper schnell schlapp machen und ich könnte mein Arbeitspensum nicht durchhalten. Neuerdings mache ich auch wieder etwas Sport, um meinen Rücken zu stärken. Durch diese Disziplin kann ich dann aber auch auf Knopfdruck kreativ sein, künstlerische Blockaden habe ich nie, nur körperliche Erschöpfung.
Nur beim Essen bin ich wenig vorbildlich, meistens esse ich meine Mahlzeiten direkt am Rechner und eher belegte Brote als wirklich warme, vollwertige Gerichte. Bei großem Stress nehme ich auch immer schnell ab, was natürlich nicht gesund ist. Nobody’s perfect.
DenkZeit: Eine klassische Frage zum Abschluss. Darf man bald etwas Neues von dir sehen? Hast du konkrete Projekte?
Inga Steinmetz: Dieses Jahr überschüttet mich mit Projekten und ein bisschen davon darf ich sicher auch verraten: Mit einem großen deutschen Verlagshaus sitze ich an einem „Sprachlern“-Comic, mit dem man quasi unterhaltsam neue Sprachen beigebracht bekommt. Ich bearbeite die Bücher für Koreanisch und, na klar, Japanisch.
Außerdem sitze ich an einem Manga zum Thema Analphabetismus, das Ergebnis einer Zusammenarbeit im letzten Jahr. Zusammen mit einer Agentur und gefördert vom Deutschen Institut für Bildung wollten wir mit Manga mehr Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenken; auch Jugendliche ansprechen. Letztes Jahr war das in Form eines Kurzmanga, der komplett ohne Sprache auskam, heißt, die Geschichte wurde nur durch die Bilder transportiert. Dieses Jahr wird es ein komplett farbiger Manga zum Thema, also wieder eine der Herausforderungen, die ich so schätze.
Und ich sitze an einem eigenen Comic bzw. Manga aber hier warte ich noch ab, welche Art der Veröffentlichung ich wähle. Gespräche mit den Verlagen gibt es aber schon.
Thomas Matterne schreibt Geschichten seit er schreiben kann. Sein erster beruflicher Weg führte ihn jedoch in die Online-Redaktion eines Fernsehsenders. Während er jetzt eher im Bereich PR und Marketing unterwegs ist, ist er aber ebenso ein leidenschaftlicher Blogger.